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Eltern ohne Pferd haften für Pferdetritt


Eine bemerkenswerte familienrechtliche Angelegenheit rund um die Aufsichtspflicht von Eltern...

In Coronazeiten werden wir daran erinnert, dass so mancher Irrsinn sich nur mit Humor ertragen lässt. Dies gilt selbstverständlich auch unabhängig von der Pandemie.

 

Im Zusammenhang mit familienrechtlichen Angelegenheiten beispielsweise sind manche Eltern der Ansicht, dass ihre Kinder von den Lehrern in der Schule erzogen werden sollen, nicht jedoch von den Eltern selbst. Schließlich müssten sie zur Arbeit gehen und hätten dafür gar keine Zeit mehr. 

 

Beim Abwägen derartiger Argumente ist die Erziehung nur durch die Lehrer möglicherweise sogar die bessere Wahl im Sinne des Kindeswohls.

 

 


Der Rechtsstreit


Der im Folgenden besprochene Rechtsstreit liefert ein schönes Beispiel: Das 3-jährige Kind besucht mit seinen Eltern ein Reitturnier in Baden-Württemberg. Wie in solchen Fällen nicht unüblich befinden sich auf dem Gelände Pferde in Pferdeanhängern, diese teilweise mit geöffneter Heckklappe wegen der hohen Temperaturen an diesem Tag.  Die Eltern glänzen durch Abwesenheit und außerhalb ihrer Sicht bewegt sich das neugierige Kind, ein Pferdefreund, in einen dieser Pferdeanhänger. Das Pferd ist damit nicht einverstanden, möglicherweise auch erschreckt, tritt aus und verletzt das Kind. 

 

Die Eltern nehmen anschließend die Pferdehalterin und ihre Haftpflichtversicherung in Anspruch. Diese sind jedoch der Ansicht, dass sie nicht verpflichtet sind, den entstandenen Schaden zu begleichen, weil die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht nachgekommen seien. 

 

Der anschließende Rechtsstreit wurde geführt nicht etwa von den Eltern des Kindes sondern von der Pferdehalterin und ihrer Haftpflichtversicherung. Den Klägern kam es darauf an feststellen zu lassen, dass sie auf Dauer von Schadensersatzansprüchen des Kindes, vertreten durch die Eltern, freigestellt werden. Es ist zu erwähnen, dass die Eltern unstreitig das Kind auf dem Gelände unbeaufsichtigt herumlaufen ließen. Die Eltern begründeten dies mit ihrem Erziehungsstil.

 

In der ersten Instanz vor dem Landgericht Freiburg hatten die Kläger teilweise Erfolg. Das Gericht war der Ansicht, dass sie zu 2/3 von den Schadensersatzansprüchen frei zu stellen sind. Dieses Ergebnis führte jedoch in die Berufungsinstanz vor das Oberlandesgericht Karlsruhe. Das OLG urteilte zulasten der Kläger, dass eine Freistellung der Kläger nur in Höhe von einem Drittel zu erfolgen hat. Auch der Turnierveranstalter habe neben den Parteien zum einem Teil zu haften. Dieser hätte dafür sorgen müssen, dass das Kind durch entsprechende Absicherungen gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, den Pferdeanhänger zu betreten. Sowohl die Kläger als auch die Eltern des Kindes legten gegen dieses Urteil Revision ein.

 

So hatte sich anschließend der Bundesgerichtshof mit dem Pferdetritt zu befassen.

 

Der Bundesgerichtshof urteilte vollumfänglich zu Gunsten der Pferdehalterin und ihrer Haftpflichtversicherung. Nach Ansicht des BGH lag die Verantwortung für das Verhalten des Kindes ausschließlich bei den Eltern. Die Kläger und der Turnierveranstalter wiederum hätten sich darauf verlassen können, dass ein 3-jähriges Kind von den Eltern vollumfänglich beaufsichtigt und von den Pferden ferngehalten wird.

 

Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, das von einem Pferd immer eine gewisse Gefährdung ausgeht. Aus diesem Gesichtspunkt heraus bestand im Prinzip zwar schon eine Haftung aus § 833 BGB zulasten der Kläger. Der BGH urteilte jedoch derart, dass diese Haftung vollumfänglich zurücktritt gegenüber der Haftung der Eltern aus ihrem Fürsorgeverhältnis.

 

Die Aufsichtspflicht der Eltern gebietet es nach Ansicht des Bundesgerichtshofes, die Situation zu erkennen, dass ein unbeaufsichtigtes Kind auf dem Gelände eines Reitturniers mit Pferden in Kontakt kommen kann, die für das Kind eine erhebliche Gefahr darstellen und die es verletzen könnten. Die Eltern hätten insofern dafür sorgen müssen, dass das Kind nahe bei ihnen bleibt und nicht unbeaufsichtigt wegläuft.

 


Fazit


Es ist schon erstaunlich, dass es für diese Einsicht einen Rechtsstreit benötigt, der bis zum obersten Gericht der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der letzten Instanz in Zivilgerichtsverfahren, geführt wird. 

 

Möglicherweise sollten manche Kinder tatsächlich doch nur in der Schule erzogen werden, nicht etwa von ihren Eltern. Im Angesicht der Gefahr, der Kinder auf diese Weise als Teil des gepflegten Erziehungsstils ausgesetzt werden, lässt sich auch dieser Irrsinn womöglich nur mit Humor ertragen.

 

Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. Januar 2021 (BGH IV ZR 210/18)